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Beitrag vom 03.04.2009
Stellet Licht
Kristina Tencic
Carlos Reygadas neuer Film begegnet dem alten Thema, der Liebe, in einer gläubigen mennonitischen Gemeinde in Mexiko und zeigt einfühlsam den Konflikt eines Familienvaters und seiner Geliebten
Der Sonnenaufgang. Magisches Licht dringt auf die Kinoleinwand, einige Minuten lang filmt Carlos Reygadas ausschließlich den flimmernden rötlichen Himmel und die immer und überall von Reizen überfluteteten und nach Action verlangenden ZuschauerInnen werden nervös auf den Kinositzen. Bis man eintaucht. Eintaucht in diesen lang vergessenen Rhythmus, der sich zeitlos über die malerisch schöne Landschaft Mexikos erhebt und in der Wohnstube einer beim Tischgebet versammelten Familie zum Stehen kommt. Als die anderen Familienmitglieder schon aufgestanden sind, sitzt der Vater noch einen Moment lang am Küchentisch und fängt bitterlich an zu weinen. Spätestens hier wird klar, dass das Idyll eine Schattenseite hat – oder ist dies die Seite des Lichts?
Der 6-fache Familienvater Johan ist verliebt in eine andere Frau. Und trotz oder vielleicht gerade aufgrund seiner bewundernswerten Offenheit gegenüber seiner Ehefrau Esther, die von Anfang an eine Mitwissende der Affäre ist, kann er sein schlechtes Gewissen nicht bändigen. Seine aufrichtige und jahrelange Liebe zu Marianne gesteht er nicht nur seiner Frau, sondern bespricht sich auch mit seinem einzigen Freund, der ihn dazu ermuntert, die außerordentliche Einzigartigkeit der Liebe auszuleben, und mit seinem Vater, dem Dorfpriester. Dieser sieht ein Werk des Teufels in der Liaison, obgleich er ihn ein wenig um dieses Glück beneidet.
Johan ist ein sehr verantwortungsbewusster Vater und Ehemann, dennoch gelingt es ihm nicht eine Entscheidung zu treffen, bis sie ihm einfach abgenommen wird. Oder etwa doch nicht?
Das Ende von "Stellet Licht" – das hier natürlich nicht verraten wird – verleiht der Geschichte leider nicht das Sahnehäubchen sondern lässt ihn in ein unerwartetes Genre abdriften und stiehlt ihm einen großen Teil seiner sonst so faszinierenden Authentizität und sympathischen Schlichtheit.
Der in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Film spielt in einer sehr gläubigen mennonitischen Gemeinde. Dieses Volk stammt aus Süddeutschland und der Schweiz und ist, unter jahrhundertelanger religiöser Verfolgung, ähnlich den Amisch, sehr traditionell geblieben. Die schöne Idee Carlos Reygadas, nur LaiendarstellerInnen einzusetzen, verleiht dem Werk nicht zuletzt seine Intensität und Wahrhaftigkeit, die durch die mennonitische Sprache, ein plattdeutscher Dialekt, noch verstärkt wird.
AVIVA-Tipp: Die mennonitischen LaienschauspielerInnen geben dem Film eine unverfälschte Einfachheit und die unbeschreiblich schöne Kulisse Mexikos lässt die Geschichte abseits von jeglicher Zivilisation erscheinen. Doch beschreibt der Originaltitel "Silent Light" wohl sehr viel besser, was uns erwartet, denn wer sich nicht von dem missglückten Ende stören lässt, wird sicherlich einen entspannten und aus Zeit und Raum entrissenen Kinoabend verleben.
Zum Regisseur: Carlos Reygadas wurde 1971 in Mexiko geboren und arbeitete nach seinem Jurastudium in der Europäischen Kommission des mexikanischen Außenministeriums. "Stellet Licht" ist nach "Japon" und "Batalla en el Cielo" sein dritter Spielfilm und wurde 2007 mit dem Großen Jurypreis von Cannes geehrt.
Stellet Licht
Mexiko/Frankreich/Holland 2007
Regie: Carlos Reygadas
Drehbuch: Gerardo Tagle
DarstellerInnen: Cornelio Wall Fehr, Miriam Toews, Maria Pankratz, u.a.
Plaudietsch mit dt. Untertiteln
Spielzeit: 136 Minuten
FSK: ohne Angabe
Kinostart: 02.04.2009
www.stelletlicht.com